Die 90. Tour wurde von Rainer und Carola bestritten. Pünktlich um 8.30 Uhr trafen sie sich am Rastplatz Hahnenkoppel, um von dort aus gemeinsam mit der voll bepackten „alten Dame“, wie der VW-Bus liebevoll von den Vereinsmitgliedern genannt wird, zu starten.
Rainer saß zuerst am Steuer, der Verkehr floss, die Unterhaltung auch... Alles bestens, mal mehr, mal weniger voll auf der Straße. Viele Brummis unterwegs, teils ganze Kolonnen, aber immerhin überwiegend auf der rechten Fahrspur. Die Unterhaltung reißt nicht ab, man hat sich so manches zu erzählen und lernt sich auf den vielen Stunden Fahrt immer nochmals etwas besser kennen.
Gleich nach dem ersten Fahrerwechsel bereichert Carola umgehend das Land Mecklenburg-Vorpommern um eine noch unbekannte, aber voraussichtlich nicht besonders hohe Summe. Die unfreiwillige Spende ist das Ergebnis einer Blitzer-Attacke, aber wirklich lohnen wird es sich für das Bundesland nicht - Carola fuhr ja nur maßvoll zu schnell. ;-)
Wie immer mussten unsere beiden Stoffbären-Maskottchen für das eine oder andere Fotomotiv von unterwegs herhalten; die Laune war bärig, auch bei den nicht ausgestopften Insassen.
Dann allerdings folgte nach dem ersten Tankstopp die Erkenntnis, dass die Tankklappe defekt war und sich nicht wieder schließen ließ. Ein Notfall-Klebeband im Auto wurde schmerzlich vermisst - es sollte zukünftig eines mit im Sortiment sein! Und nicht einmal ein Fitzelchen Paketband oder sonstige Schnur, womit man die Klappe notdürftig hätte festbinden können, waren zu entdecken. Weder im Auto noch bei den Insassen desselben. Aber immerhin fanden sich, wohl noch aus Corona-Zeiten, eine Unmenge an Masken im Handschuhfach. Die Gummibänder wurden umgehend zweckentfremdet und mussten dafür herhalten, die Tankklappe zu fixieren. Nun hat so ein Maskengummiband allerdings nur eine sehr geringe Festigkeit und daher ahnten wir schon, dass die Behelfslösung nicht lange vorhalten würde... So war es denn auch, relativ bald stand die Tankklappe wieder offen. Das führte für den gesamten Rest der Hinfahrt zu einem sehr hohen gestischen Kommunikationsaufkommen. Denn sehr, sehr viele freundliche Autofahrer versuchten uns beim Überholen mit interessantem, variationsreichem Gestikulieren auf unsere offen stehende Tankklappe aufmerksam zu machen. Danke!!! Auch unsere Mimik und Gestik der Dankbarkeit wurden im Laufe der Zeit präziser sowie erfinderischer. Alles hat seine Vorteile, die Kosten für den Theaterworkshop konnten wir einsparen. Learning by doing!
Bis auf die dauerhaft dem Fahrtwind trotzende Tankklappe verlief die Hinfahrt im Wesentlichen aber störungsfrei. (Immerhin blieb die Klappe trotz des stundenlangen an ihr zerrenden Gegenwinds an ihrem Platz.) Wir wähnten uns nach Verlassen der Autobahn - und damit fast am Ziel - ziemlich sicher, alles gut überstanden zu haben. Was sollte auf den paar Dutzend Kilometern über Land denn noch groß passieren?!
Doch manchmal kommt es anders als gedacht! Nach einem ersten kürzeren Stau auf der Landstraße passierten wir im Schritttempo einen soeben erfolgten, noch nicht abgesicherten schweren Laster-Unfall. Puh! Gott sei Dank nicht selbst beteiligt!
Weiter geht´s. Allerdings nur ca. 5 Kilometer lang. Und dann stehen wir unverhofft kurz vor dem Einmünden in einen Kreisverkehr in einem Komplettstau . Nichts geht mehr - in keine Richtung. Aus allen Einmündungen des Kreises versuchen Autos in diesen hinein- und erst recht danach wieder herauszukommen. Völlig unmöglich. Der gesamte Verkehr steht sozusagen sternförmig still. Laut dagegen schrillen die Sirenen der heranrasenden Feuerwehr. Es muss sich direkt hinter irgendeiner der Abfahrten aus dem Kreisel soeben ein schwerer Unfall ereignet haben. Duplizität der Ereignisse. Nichts geht bzw. fährt mehr. Wir stehen inzwischen auf der doppelspurigen Einfahrt in den Kreisel auf der linken Spur und sehen, dass es direkt auf Augenhöhe rechts eine Ausfahrt gibt, die tatsächlich noch frei befahrbar ist, auf die aber kein einziger der anderen Kfz einbiegt. Warum nicht??? Eine Sackgasse? Oder führt diese Spur auch nur auf Umwegen wieder auf den blockierten Kreisel zurück? Wie auch immer, Rainers Intuition sagt ihm, dass dies einen Versuch wert sei. Und da die einzige Alternative ein vermutlich ein- bis mehrstündiges Verbleiben im Chaos wäre, setzt auch Carola auf den Versuch, glaubt aber nicht daran, dass ein Spurwechsel überhaupt noch möglich sei. Doch kurzerhand setzt Rainer schnell und mutig zurück - tatsächlich war da noch eine kleine Lücke! Dann geschickt und beherzt durch die Anderen nach rechts durchgeschlängelt, ab auf die rechte Ausfahrt - und dann sehen wir weiter...
Das Dreigestirn aus Rainers Intuition, Glück und dem findigen Google-Navi bescherte uns eine abenteuerliche, aber erfolgreiche Fahrt auf winzigen Feldstraßen mit umso größeren Schlaglöchern über tiefstes Hinterland. Sehr spannend war es, mitzuerleben, wie sich auf diesen Feldwegen, die eigentlich nur für landwirtschaftliche Fahrzeuge ausgelegt sind, riesige, tonnenschwere LKW begegneten und versuchen mussten, sich mit wenigen Zentimetern Abstand zueinander (sowie andererseits zum Straßengraben) gegenseitig zu passieren. Denn offensichtlich hatten dann doch nicht nur wir, sondern zunehmend auch andere Staugeschädigte, den aus allen möglichen Richtungen blockierten Kreisel zu umfahren versucht. Ein solches Verkehrsaufkommen wie in diesen zwei Stunden hatten die lauschigen Feldwege vermutlich in den gesamten letzten 10 Jahren nicht erlebt...
Kurz hinter dem Unfallkreisel (Feuerwehren, Stau-Chaos und Komplett-Absperrungen nun in Sichtweite auf der anderen Seite bzw. hinter uns) gelangten wir schließlich wieder auf die ursprüngliche Strecke zurück und hatten überdies einen insgesamt nur relativ geringen Zeitverlust zu beklagen. Man muss auch mal Glück haben!
Schließlich im Lager angekommen, luden wir gemeinsam mit Alex und den anderen Helfern in kurzer Zeit den Bus aus, machten dabei die obligatorischen Fotos und sind danach von Alex zur Kaffeepause in die Lagerküche eingeladen worden. Wir waren dann aber doch inzwischen etwas müde und dehnten diese Pause daher nicht allzu lange aus. Noch lag der stets stressige Feierabendverkehr auf Warschaus Stadtautobahnen vor uns und außerdem klopfte der Hunger an. Die Stadtautobahnen waren - trotz ihrer gigantischen Ausmaße und der durchgängigen Mehrspurigkeit - wie immer verstopft. Ebenso schon gewohnt (trotzdem immer wieder gewöhnungsbedürftig): der Fahrstil der polnischen Autofahrer in dem sowieso schon unfassbar hektischen Gewusel. Man ist geneigt anzunehmen, dass die meisten Warschauer Verkehrsteilnehmer ihr Auto mehr schätzen als ihr Leben.
Doch auch diesmal sind wir wieder unbeschadet im Hotel angekommen. Nun also schnell eingecheckt, frisch gemacht und dann auf zum Abendessen ins benachbarte Einkaufszentrum!
Doch halt! Die Pflicht ruft! Zuerst muss auf dem Weg dorthin noch in einem Supermarkt nach Gaffatape oder wenigstens einer stabilen Schnur zur Befestigung der Tankklappe für den Rückweg gesucht werden! Gesagt, getan. Ergebnis: Carola durchsuchte den gesamten Markt gründlich und strukturiert. Zu finden waren weder Klebeband (nicht einmal Tesafilm!) noch stabile Schnur (nicht einmal Paketband!). Dafür dauerte das gesamte Unterfangen gefühlte 20 Minuten. Carola wollte nicht aufgeben und stellte sich ersatzweise (flexibel umgeswitched!) mit Damenfeinstrümpfen (sehr elastisch und stabil!) und Frischhaltefolie (extrem vielseitig und ebenfalls stabil!) an der Kasse an. Da offensichtlich sämtliche Stadtteilbewohner in Wohnnähe des Supermarkts gerade ihre Pfingsteinkäufe erledigten, stand sie dort allerdings weitere geschlagene 20 Minuten. Der schlaue Rainer hatte inzwischen hinter den Kassen in den alten Kartons herumgesucht und dort benutztes, aber noch restklebriges Klebeband gefunden. Mit dieser Beute begab er sich auf den Parkplatz des Supermarkts und wartete dort gelassen auf das seeeehr viel spätere Eintreffen seiner leicht entnervten, aber über ihre vermeintlich genialen (sowie erfolgreich ergatterten) Alternativen nicht völlig unzufriedenen Reisegefährtin. (An dieser Stelle sei gesagt, dass die Tankklappe am folgenden Tag mit Rainers Beute sofort erfolgreich gebändigt wurde. Carolas heimischer Vorrat ist nun um eine Rolle Frischhaltefolie und um ein Paar sicher nie genutzter Seidenstrümpfe reicher.)
Wir freuten uns, dass wir uns nach der nach der langen Fahrt endlich die Beine vertreten und den Spaziergang zum Einkaufszentrum genießen konnten. Das sonst häufig eher leere Einkaufszentrum war zu unserem Erstaunen diesmal gut besucht - allerdings fast ausschließlich von jungen Leuten. Obwohl wir nur zwei Greise waren, haben wir den Altersdurchschnitt eindeutig gesenkt. Auf dem Weg zur „Fressmeile“ entdeckten wir gar eine lange Schlange junger Hippster, die alle unbedingt in einen - warum auch immer - gehipten Laden mit langweilig aussehender Mode chinesischer Provenienz gelangen wollten. Das war der Moment, der uns mit unserem Alter versöhnte. Wir konnten achselzuckend von der Rolltreppe aus zusehen, wie die Menschen ihre wertvolle Zeit verschwendeten, nur um schließlich irgendeinen Stofffetzen von eindeutig billigster Qualität und Machart zu kaufen. Dagegen waren Carolas überflüssig zugebrachte 40 Minuten im Supermarkt ein Klacks!
Wir entschieden uns für asiatisches Essen, waren zufrieden und satt und krönten den Abschluss des Tages mit einem Aperol Spritz. Zurückgekehrt ins Hotel freuten wir uns beide auf Dusche, Bett und erholsamen Schlaf.
Leider, leider hatte letzteren aber nur Carola. Als Rainer zur verabredeten Zeit im Frühstücksraum erschien, hatte Carola bereits den ersten Kaffee hinter und einen Teller Rührei vor sich. Rainer hingegen wollte weder Kaffee noch Ei, er hatte nur vier Stunden geschlafen und es ging ihm auch sonst nicht gut. Das Frühstück ließ er ausfallen und den Vorrang am Steuer gab er an Carola ab.
Die Rückfahrt war erfreulich problemlos, was die Verkehrsdichte anging, aber sie war doch getrübt davon, dass sich Rainer durchweg nicht fit fühlte. Trotzdem hat er gut durchgehalten und sogar später auch noch das Steuer übernommen. Am frühen Abend erreichten wir Hamburgs Stadtgrenze und trennten uns dort, wo wir uns tags zuvor getroffen hatten. Rainer übernahm den Rücktransport des Kältebusses, Carola machte sich mit ihrem PKW auf den letzten Rest des Heimwegs.
Trotz der Beeinträchtigung auf der Rückfahrt war auch dies wieder eine gute Tour. Wieder sind wichtige Güter nach Warschau gelangt, die von dort aus in die Ukraine und im Land selbst wiederum direkt an die Menschen weitergeleitet werden, die diese Dinge dringend benötigen. Ohne Zwischenhandel, ohne Verwaltungskosten, ohne Umwege, ohne dass unterwegs etwas verloren geht. Direkte Hilfe. Von A nach B und von A zu B, von Deutschland in die Ukraine und von Mensch zu Mensch.
Wir machen weiter!
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